Vulkantagebuch

Vulkantagebuch

Vulkanausbruch La Palma – 19.09.2021 Verrückte Zeiten, ohne Frage. Seit dem 19. September steht La Palma still. Paralysiert starren wir auf den Vulkan, der in der Gegend von “Cabeza de la Vaca” seinen Weg an die Oberfläche gebahnt hat.

Silvia Rupp Mountainride La Palma

Mir war es wichtig, die Ereignisse möglicht kurz und sachlich zusammenzufassen. Entsprechend konnten meine WhatsApp Kontakte in den vergangenen Tagen verfolgen, wie sich die Lage auf dieser Insel entwickelt hat. Nachdem mich viele Leute darauf angesprochen haben, wollte ich dieselbe Information auch hier zusammenfassen und sie somit mehr Menschen bereitstellen. Bitte verzeiht mir, wenn nicht alles wissenschaftlich 100% korrekt ist. Ich bin weder Vulkanologe noch Reporter. Aber ich weiß, dass viele Menschen voller Sorge auf die Nachrichten schauen, und hiermit will ich ihnen helfen, das Geschehen zu erfassen. Drückt weiter mit uns die Daumen, dass es schnell vorbei geht, eure Silvi


MINI-NAVIGATION: Damit man sich leichter in diesem Vulkan-Tagebuch zurecht findet, habe ich hier eine Mini-Navigation eingebaut, mit der ihr direkt zu den aktuellen Beiträgen springen könnt.

Vor dem Ausbruch  19.09.2021 – der Ausbruch20.09.2021 – das Erwachen

21.09.2021 – Druckwellen22.09.2021 – Häuser räumen23.09.2021 – Hoher Besuch

24.09.2021 – Kanonenschläge25.09.2021 – Beruhigung26.09.2021 – Kirche fällt

27.09.2021 – Vorbei?28.09.2021 – Meer29.09.2021 – Luft unbedenklich

11.-18.09.2021

Die Tage vor dem Ausbruch

Holen wir vorab ein wenig aus. Die Kanarischen Inseln bestehen im Grunde aus Vulkanen. Die östlichen Inseln sind älter als die westlichen und dies spiegelt sich auch in der Aktivität der Vulkane wieder. Auf La Palma selbst liegt der letzte Ausbruch ziemlich genau 50 Jahre zurück: Der Vulkan Teneguia an der Südspitze der Insel begann im Oktober 1971 nach 6 Tagen seismischer Aktivitäten zu spucken. Nach 24 Tagen war der Spuk vergleichsweise schnell vorbei. Damals traf es ein kaum bebautes Gebiet und entsprechend hielten sich die Schäden in Grenzen. Wichtig zu wissen ist, dass es nicht Anzahl X an Vulkanen auf der Insel gibt, die einfach immer mal wieder aktiv werden. Vielmehr sucht sich das Magma in gewissen zeitlichen Abständ den Weg an die Oberfläche. Wir bewegen uns langsam über die Tektonischen Platten hinweg, entsprechend ist der südliche junge Teil der Insel “gefährdeter” als der “alte” Norden. Was ich damit unterstreichen möchte ist: Überall liest man zur Zeit Kommentare wie “selbst Schuld, wenn man so blöd ist unter einem Vulkan zu bauen”. Teilweise leben Menschen hier bereits seit Generationen in der nun betroffenen Gegend. Die gesamte “Cumbre Vieja”, also die Bergkette die ab der Inselmitte in den Süden reicht, besteht – wenn man es nüchtern herunterbricht – aus vielen einzelnen Vulkanen. An welchem Punkt sich nach dem Teneguia nun das nächste Mal die Erde öffnet, wurde grob geschätzt, und jetzt werden auch die Stimmen laut die sagen “haben wir es euch doch gesagt”. Aber zum einen hatten sie sich verschätzt und zum anderen sind diese Gebiete bereits lange vor der angeblichen Information bebaut gewesen.  

Seismische Aktivität 14.09.2021
Seismische Aktivität 14.09.2021

Auf Grund der hohen Wahrscheinlichkeit für vulkanische Aktivität, werden die Kanaren sehr gut überwacht. Und so wurde die Bevölkerung sofort informiert, als sich Schwärme von Beben zwischen Fuencaliente und El Paso häuften. Erste Bewegungen wurden am 11. September gemessen und in den kommenden Tagen sprachen Einschätzungen von der Gegend um Jedey als mögliche Stelle für die Entstehung eines neuen Vulkans – wenn es denn überhaupt zu einem Ausbruch kommen sollte. Im Laufe der darauffolgenden Tage bewegte sich der Schwarm immer weiter von der Gemeinde Fuencaliente hoch in Richtung der Gemeinden Los Llanos de Aridane und El Paso. Auch die Intensität nahm zu und es kam zu den ersten Verformungen der Oberfläche, zuerst um 5 cm, dann um 10 cm.  

Dann schien es sich plötzlich zu beruhigen

Zwischen Freitag und Samstag gingen die Beben in Stärke und Menge zurück. Wir fragten uns, ob wir vielleicht sogar Glück gehabt hatten, und der Kelch noch einmal an uns vorbei geht. Andere sahen es als Ruhe vor dem Sturm. Und so war es dann auch, denn in Richtung Sonntag nahmen die Beben wieder zu.

Schließung der Waldwege
Am 19. September schloss die Regierung offiziell die Pisten und Wanderwege in den Gemeinden El Paso, Los Llanos de Aridane, Tazacorte, Fuencaliente und Villa de Mazo
19.09.2021

Der Ausbruch kam unerwartet

Der Sonntag begann relativ normal. Die seismischen Messungen zeigten, dass die Werte stiegen, jedoch bewegt sich alles unter einer Magnitude von 4. Am Morgen war ich im Laden da jemand Bikes für diesen Tag reserviert hatte, und sah überrascht, dass die Waldwege in den Gemeinden El Paso, Los Llanos und Fuencaliente offiziell gesperrt wurden. Daraufhin sprach ich mit unseren beiden Taxifahrern und beide meinten, dass ich mir keinen Kopf machen solle, solange die Beben 4,5 nicht überschreiten gibt es keinen Grund zur Sorge. Um kurz nach 11 wackelte die Erde. Dieses Mal spürte ich die Bewegung deutlich – es dauerte nur 3 Sekunden in denen sich alles gefühlt 5 cm nach vorn und wieder zurück bewegte. Nach ein paar kurzen Augenblicken des Realisierens, dass ich gerade zum ersten Mal ein Erdbeben bewusst miterlebt hatte, flitzte ich raus in die Einfahrt, und atmete durch. Doch für den Moment blieb es bei der einen Erschütterung. Laut Messungen war es “nur” eine 3.8 (die Werte wurden immer wieder nachkorrigiert), und dennoch wurde ich unruhig, auch da die Beben immer näher an die Oberfläche kamen. Ich wartete also ein paar Minuten, beschloss, dass die Gäste wohl nicht mehr kommen würden, und machte mich auf den Heimweg.  

VORBEREITUNGEN WAREN GETROFFEN

Uns wurde ziemlich zu Beginn bereits geraten, einen Notfall-Rucksack zu packen. Somit waren alle wichtigen Dinge seit Tagen in einem Rucksack und teilweise schon im Auto, Transportboxen für die Fellknäule standen ebenfalls im Flur bereit. Eigentlich war alles für das Worst Case Szenario vorbereitet, und dennoch ließ mich die Unruhe seit dem Beben am Vormittag nicht mehr los und auch E-Mails zu beantworten erschien plötzlich wie eine unmöglich zu bewältigende Aufgabe. Ich lenkte mich also mit etwas Hausarbeit ab und plötzlich hörte ich, wie die Nachbarn sich laut über die Straße hinweg zuriefen.

Er ist rausgekommen! Schau!

Sofort rannte ich hoch auf die Dachterrasse. Es war 15:12 Uhr und am Hang der Cumbre Vieja stieg eine Rauchwolke auf. Ich hatte weder eine Explosion noch eine Erschütterung bemerkt, und dennoch hatte sich in etwas mehr als 5 kim die Erde geöffnet.  

Ausbruch 19.09.2021 Vulkan unterhalb der Bergkette Cumbre Vieja La Palma
Das erste Foto direkt nach dem Ausbruch, 15:13 Uhr von unterhalb Los Llanos aufgenommen

DIE ERSTEN GEDANKEN

… waren überraschend vielschichtig. Zum einen eine gewisse Erleichterung: Nach so vielen Tagen auf die Messungen starren nun zu wissen, wo er ausbricht, und dass man selbst fast unmöglich direkt betroffen sein wird. (Egoistisch, ohne Frage). Danach die Überwältigung: Direkt mitzuerleben wie die Natur ihre ganze Kraft zeigt verpasst einem unwillkürlich eine dicke Gänsehaut. Und dann wandert der Blick den Hang hinunter und man sieht die Häuser und es wird einem mulmig. Zu diesem Zeitpunkt hat wahrscheinlich kaum jemand der nicht den Ausbruch des San Juan miterlebt hat, ein Gefühl dafür entwickelt, welche Lava-Mengen in den darauffolgenden Tagen diesen Hügel herunterkommen würden. Ich erinnere mich wie ich die obersten Häuser am Hang angesehen habe und dachte “Puh, die da oben werden das wahrscheinlich nicht überstehen”. Sofort gingen nochmal Nachrichten an Freunde und Bekannte raus, die zwischen Todoque und Las Manchas leben, alle waren soweit gefasst und die meisten hatten schon einen Notfall-Plan oder waren im ersten Moment weit genug weg. Der erste Anruf kam von zwei Paaren, deren Häuser sich recht weit oben am Berg befanden – sie hatten nur noch ihre wichtigsten Unterlagen gepackt und sind mit dem Auto verschwunden. Da wir unsere Casa Sansofé vor der Saison renovierten, war diese zu dem Zeitpunkt komplett leer, und sie hatten einen Platz zum Schlafen. Den restlichen Nachmittag verbrachte ich auf der Dachterrasse und konnte den Blick kaum abwenden. Noch weniger als die Nacht hereinbrach und das starke rote Leuchten sichtbar wurde. Auf den Seiten der lokalen Presse wurde begonnen umfangreich und ohne Unterbrechung zu berichten. Schnell wurde klar, dass die Einsatzkräfte begannen weiträumig zu evakuieren. Noch in der Nacht wurde ab Ortsmitte La Laguna bis Las Manchas an Türen geklopft und etwa 5000 Personen verließen ihr Zuhause. Auch alle Orte an der Küste, von El Remo bis Playa de los Guirres – inklusive Puerto Naos – wurden ebenfalls evakuiert, unter anderem auch weil alle Verbindungsstraßen runter ans Meer gefährdet waren.

UND JETZT WOHIN?

Wer nicht in einer Wohnung von Verwandten oder Freunden unterkommen konnte ging zu großen Sammelpunkten. Viele wurden in der Kaserne südlich von Santa Cruz untergebracht, oder direkt auf Feldbetten in Sporthallen. Für Menschen die gerade um ihr gesamtes Hab und Gut fürchten mussten, eine leider nur wenig tröstliche Situation. Begleitet wurde dieser erste Tag von einem konstanten, vergleichsweise leisen Geräusch, vergleichbar mit einem recht tief fliegenden Flugzeug.

Neuer Vulkan bei Cabeza de la Vaca unterhalb der Cumbre Vieja
20.09.2021 2. Nacht Vulkanausbruch La Palma Cabeza de la Vaca Cumbre Vieja
20.09.2021

Das nüchterne Erwachen

Aus der anfänglichen Faszination wurde schlagartig nüchternes Realisieren.  In der Nacht hatte man bereits an dem roten schauderhaften Weg der Lava erahnen können, dass deutlich mehr Häuser schon jetzt dem Vulkan zum Opfer gefallen sind, als engstirnig erwartet. Obwohl sich hier jeder darüber bewusst war, dass wir auf einer Vulkan-Insel leben, mussten alle schlucken als die ersten Einschätzungen bekannt gegeben wurden. Man sprach von 23-83 Tagen Aktivität. Ein Mittelwert der aus den Ausbrüchen der vergangenen Jahrhunderte errechnet wurde. Zudem wurde schnell die erste Schätzung in Bezug auf die Menge der Magma revidiert. Während man zu Beginn davon ausging, dass nur etwa halb soviel Magma wie beim Ausbruch des Teneguia im Spiel sei, stiegen die neuen Hochrechnungen zügig an.

DAS BETROFFENE GEBIET

Das schiere Ausmaß der Zerstörung wurde anhand der ersten Drohne-Aufnahmen deutlich. Erste Versuche realistische Karten vom Verlauf der Lava zu bieten wurden unternommen, jedoch verändert sich das Bild so schnell, dass jede Aktualisierung gleich wieder veraltet war. Der Lavafluss arbeitete sich unglaublich schnell voran, überrollt die Gegend “El Paraíso” zusammen mit Los Campitos und steuerte auf den Ort Todoque zu. Bereits jetzt gingen die Bilder um die Welt in denen die Lava Haus um Haus überrollte und zischend auf Wassertanks und Pools traf. Die Einsatzkräfte waren währenddessen weiter unterwegs und holten Tiere aus den nun verlassenen Grundstücken. Tierschutzorganisationen wurden aktiv und begannen ebenfalls zentrale Sammel-Punkte zu bilden, an denen diese Tiere aufgenommen wurden, und natürlich all diejenigen die nicht mit den Menschen in ihre Notunterkünfte mitkommen konnten.  

GLEICHE GERÄUSCHKULISSE

Bei dem anhaltenden Geräusch von “Flugzeug-Turbinen” näherte sich der Lavafluss immer weiter dem Ortskern von Todoque, und zum ersten Mal sprach man davon, dass die Lava bald das Meer erreichen könnte. Egal wo man hinblickte, überall wurde berichtet wie viele “Schlote” sich geöffnet haben, ob es neue gibt, oder doch nicht, und leider immer wieder zu wenig Informationen über den aktuellen Fluss – eben DAS was die Anwohner am dringendsten wissen wollten.

3. Nacht nach Vulkanausbruch auf La Palma, 21.09.2021
21.09.2021

Stopp oberhalb von Todoque

Und plötzlich wurde er langsam. Während man eigentlich schon in der vorherigen Nacht damit gerechnet hatte, dass der Lavastrom sich schnell seinen Weg ans Meer suchen würde, bremste er kurz vor dem Ortskern von Todoque ab und bewegte sich nur noch unglaublich langsam vorwärts. Auch das Flugzeug-Geräusch war weg und wurde stattdessen von Druckwellen ersetzt. Beinahe als würde er atemen ließen die Vibrationen die Scheiben erzittern, alles im vergleichsweiße ruhigen Bereich.  

KLEINER LICHTBLICK FÜR DIE ANWOHNER

Nachdem erkannt wurde, dass der Hauptstrom der Lava sich kaum noch voran bewegte wurde schnell organisiert dass Geschäftsinhaber nochmal nach Puerto Naos durften. Menschen mit Tieren konnten für kurze Zeiträume zu ihren Häusern und versuchen diese rauszuholen, sofern sie weit genug vom Lavastrom weg waren. All das wurde kurzfristig mit der Entwicklung der Lage entschieden und ein System der 15 Minuten wurde aufgebaut, welches in den kommenden Tagen den Alltag vieler Menschen bestimmen sollte. Als der Vollmond aufging war vom roten Fluss der vorherigen Nächte kaum mehr etwas zu sehen. Deutlich wurde jedoch, dass sich die typische Vulkanform immer stärker ausbildete, der Vulkan wuchs weiter und weiter nach oben. Zudem war ein neuer Riss an der nördlichen Wand des Kegels entstanden aus dem die Lava sehr flüssig austrat. Später stellten wir fest, dass in dieser Nacht unser geliebter “Rambo”, ein alter Isuzu Trooper, den wir vor einiger Zeit bei einem Bekannten in Todoque hatten stehen lassen, nun auch unter den Erdmassen verschwunden war.

Nachts 22.09.2021
22.09.2021

Die Einwohner kommen nochmal zurück

Am frühen morgen ging die Information raus, dass evakuierte Einwohner die Gelegenheit bekommen sollten, nochmals für jeweils 15 Minuten in ihre Häuser zu kommen. Unter Begleitung von Polizisten konnte man in diesem Zeitfenster versuchen so viel aus den Häusern zu holen wie möglich. 22.09.2021 Vulkan morgens kaum zu sehen Und VIELE nahmen diese Möglichkeit wahr. Zum Glück gibt es durch die große Menge an landwirtschaftlichen Betriebe einige Fahrzeuge mit großen Ladeflächen auf der Insel und auch die Beamten halfen den Anwohnern, Tiere, Möbel und vor allem Erinnerungen aus den Häusern zu holen. Von vielen hörte man: “Was holst du in 15 Minuten aus deinem Haus? Du hast 15 Minuten Zeit um dein gesamtes Leben mitzunehmen!?”Auch die Bananenbauern konnten die Gelegenheit nutzen und ihre Plantagen gießen, denn im nächsten Schritt ist die gesamte Gegend natürlich auch eine der produktivsten und damit unglaublich wichtig für die Wirtschaft der Insel.  

UND DIE LAVA

… arbeitete sich langsam an die Hauptstraße vor. Ich rede mir gerne ein, dass “Rambo” seinen Teil dazu beigetragen hat, den Fluss zu verlangsamen, andere würden behaupten es lag an der Kirche von Todoque, die direkt auf der anderen Straßenseite stand. Dennoch fielen im Laufe des Tages sowohl das Restaurant “Altamira” und auch andere Gebäude an der Hauptstraße. Sehr langsam arbeitete sich die Walze vor und auch die Druckwellen wurden stärken. Das bereits gewohnte Flugzeug-Geräusch war wieder zurück und zum ersten Mal fielen “Cenizas”, also Asche-Staub, vom Himmel und bedeckten Los Llanos mit einer feinen schwarzen Schicht. Heute Nacht glich der Vulkan einem Leuchtfeuer, hoch und mit jeder Menge Druck dahinter.

Tag 5 des Ausbruchs
Am Vormittag wieder sehr gut sichtbar: Die massive Rauchwolke, aufgenommen von der Ladentür.  
23.09.2021

Hoher Besuch

Vor ein paar Tagen war bereits der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez auf der Insel und hat der Bevölkerung Hilfe zugesichert. (Diese Phrasen hatten wir in den letzten zwei Jahren eigentlich schon zu oft gehört. Hoffen wir, dass sie sich dieses Mal nicht wieder als hohl heraus stellt – aber wollen wir nicht politisch werden.)  Für heute war jedoch wirklich hoher Besuch angekündigt: Das Königspaar, König Felipe VI. und Königin Letizia, hatte sich auf den Weg gemacht und der Wind machte auch gerade so noch mit, dass der Airport geöffnet war. (Extra für den König?) Tagsüber verhielt der Dicke sich vergleichsweise ruhig, es war sehr bewölkt und man sah ihn kaum. Der Sand, der vom Himmel kam, hatte ebenfalls nachgelassen, die Lage war ein Stück weit entspannt.  

STRASSENSPERRUNG

Als ich mich während der Siesta auf den Weg nach Hause machte, war der Kreisverkehr in Richtung Puerto Naos von der “Guardia Civil” abgesperrt worden. Nach einer kurzen Schrecksekunde (“Müssen wir jetzt auch evakuieren? Darf ich noch rein und die Vierbeiner rausholen?”) sagten die Beamten, dass es sich nur um eine zeitlich begrenzte Sperrung handelt. Schnell aus dem Auto heraus die Nachrichten abgerufen – der spanische König ist in La Laguna und spricht vor Ort mit den Betroffenen. Das konnte also noch eine Weile dauern. Deshalb nutzte ich den Moment, um ein paar Kleiderspenden in Los Llanos abzugeben und erfuhr, dass im Camino Campitos (kurz vor der Geraden nach San Nicolás) eines der letzten Flecken bebautes und NOCH nicht betroffenes Gebiet in der Gegend, in der letzten Nacht überrollt worden sind. Und damit auch zwei Fincas mir sehr teuren Menschen. (Wer Bianka und Sören von der Finca Flora unterstützen möchte, kann dies u.a. hier> tun.)

KANONEN-FEUER

Gegen 22 h begannen die Kanonenschläge – als würde ein Mittelalter-Fest im Garten abgehalten. Der Vulkan begann Druckwellen über das gesamte Tal zu schicken und ließ die Fenster zittern. Mittlerweile war der Vulkankegel bereits so sehr angewachsen dass er das Magma nicht mehr richtig aus der Öffnung zu bekommen schien.

Kanonenschläge ab 10 Uhr nachts
Um 22 Uhr begannen die “Kanonenschläge”: Der Vulkan schien das Material nicht mehr aus seinem Schlot zu bekommen und mehr Druck aufzubauen
24.09.2021: Gegen 13 Uhr beginnen explosionsartige Druckwellen
24.09.2021: Gegen 13 Uhr beginnen explosionsartige Druckwellen das Aridanetal zu erschüttern. Weitere Regionen werden evakuiert
24.09.2021

Kanonenschläge erschüttern das Aridanetal

Über Nacht kam der Vulkan langsam wieder zur Ruhe, doch das sollte nicht lange anhalten. Gegen 13 Uhr begannen die explosionsartigen Kanonenschläge und brachten das gesamte Tal zum Wackeln. Sichtbar bewegten sich die Druckwellen hoch in die Wolken und die Regierung stufte weitere Regionen als gefährdet ein. Zuerst entschloss die Regierung sich für ein “Confinamiento”, quasi ein Hausarrest, für die Gebiete Tacande (zwischen Vulkan und El Paso) und Tajuya (zwischen Los Llanos und El Paso). Kurze Zeit später wurde die Lage neu bewertet und weitere Evakuierungen durchgeführt.  

Eine der kleineren Druckwellen lässt die Ladentür wackeln

MEHRERE PUNKTE SPRACHEN DAFÜR

Zu Beginn die reelle Gefahr für Glasbruch in einem Umkreis von 3 km – nicht verwunderlich wenn man die Videos der Druckwellen sah, die in den Himmel schossen. Dann das Thema des herabfallenden Vulkangesteins: Bei der Stärke der Druckwellen musste man davon ausgehen, dass auch größeres Vulkangestein in einem Umkreis von bis zu 2,5 oder 3 km vom Himmel kommen konnte. Und natürlich das Risiko der Freisetzung von Gasen, der Öffnung eines neuen Schlots und die Gefahr des Einsturzes des Vulkan-Kegels.    

Ein neuer Schlot hat sich am Nachmittag geöffnet
24.09.2021 Ein neuer Schlot hat sich am Nachmittag geöffnet: Nach den Explosionen hat sich die Magma einen neuen Weg gebahnt und kommt an der nördlichen Flanke des Vulkans zum Vorschein.

TEIL DES VULKANS KOLLABIERT

Und tatsächlich kollabierte ein Teil des Vulkankraters und ein neuer Riss entstand an der Nordflanke, aus dem sich wieder große Mengen Lava ergossen. Zum Glück traten die befürchteten Gase nicht aus und die neue Lava bewegte sich weitestgehend auf dem bereits entstandenen Strom. Diese neue wiederum sehr flüssige Lava fütterte jedoch ruckartig den in Todoque fast zum Stehen gekommenen Hauptstrom wieder an. Und auch die südliche Lavazunge am Ortsrand von Las Manchas begann sich durch das neue Material mehr in Bewegung zu setzen. Für viele der heute evakuierten “Vecinos” gab es glücklicherweise schnell Entwarnung. Der Fokus der Aufmerksamkeit richtet sich währenddessen wieder auf den Ortskern von Todoque und die Kirche. Der Lavastrom erreichte langsam die andere Straßenseite.

25.09.2021 mit der neuen Öffnung ist der extreme Druck erst mal abgebaut.
25.09.2021: Mit der neuen Öffnung ist der extreme Druck erst mal abgebaut.
25.09.2021

Die Kirche von Todoque steht noch

Mit dem neuen Riss ist der Druck erst mal raus. Lava fließt nun weiter kontinuierlich über den alten Strom gen Todoque und die große Erdwalze setzt sich weiter in Bewegung. Mittlerweile berührt sie die “Ruine” im Zentrum von Todoque (ihr erinnert euch an den massiven Rohbau neben der Plaza, der seit vielen vielen Jahren unverändert den Ortskern “zierte”). Die Hoffnung: Dass der Lavastrom direkt danach in einer Senke schneller wird und möglichst ohne Umschweife den Weg zum Wasser findet. Warum? Damit der obere Strom nicht weiter in die Breite geht. Doch der Rohbau hält einfach stand, wird immer mehr verbogen aber bleibt stehen. Allen wird klar, dass für die Kirche wenig Hoffnung besteht.  

WAS IST ZU HÖREN?

Morgens sind die “Flugzeugturbinen” begleitet von Vibrationen wieder da – wenn auch nicht sonderlich laut. Zum Abend hin wird es wieder lauter. Ein mittlerweile gewohntes Szenario.

DAS AUSRÄUMEN GEHT WEITER

Weiterhin hatten Anwohner die Möglichkeit in begrenzten Zeitfenstern Habseligkeiten aus den noch stehenden Häusern zu holen. z.B. auch in der Gegend um Las Manchas – also einmal auf die Ostseite und über Fuencaliente anstellen, um in dann in Begleitung von Beamten zu den Grundstücken zu können. Auch wenn es seelisch unglaublich zehren war, war jeder dankbar für diese Möglichkeit.

26.09.2021 Vulkanausbruch La Palma
26.09.2021

Die Kirche fällt

Diesen Morgen erwachten wir mit ordentlich Getöse und wieder der Nachricht von Freunden, die ihr Grundstück verloren hatten. Neue Gebiete wurden weiter überflossen und vor allem die südliche Lavazunge bewegte sich ein ganzes Stück nach unten. Bereits seit dem 22.09., als das Restaurant Altamira von der Lava eingerissen wurde, war die Kirche von Todoque im Fokus – es wurden sogar Barrikaden errichtet, um den Lavafluss nochmals abzuschirmen. (Zugegeben, ganz netter Gedanke, aber nicht sehr realistisch).

26.09.2021: Am Abend wurde es wieder leiser
26.09.2021: Am Abend wurde es wieder leiser. Wider Erwarten floss der Lavastrom nicht sonderlich schnell weiter, nachdem er die Hauptstraße passiert hatte

Nachdem die Lava-Walze bereits einige Zeit gegen die Kirche gedrückt hatte, gab der Glockenturm um 17:55 Uhr Ortszeit schließlich nach. Für viele Nachbarn war dies ein harter Schlag und wurde zu einem Symbolträchtigen Bild.

Mir wurde es so beschrieben, dass es sich so angefühlt hat, als wäre damit die Gemeinschaft, die Gemeinde Todoque gefallen. Denn über 65 Jahre trafen sich auf der Plaza und im angrenzenden Gemeindezentrum die Menschen des Ortes, feierten dort Feste mit allen Generationen und saßen abends gemütlich zusammen.

DER WEG AB DEM ORTSKERN

Von diesem Punkt aus fällt das Gelände recht stark ab. Man ging also davon aus, dass die Lava sich beschleunigen würde und nun nicht mehr lange bis ans Meer brauchen würde. Dennoch blieb sie weiterhin langsam und in einer Senke hängen.

27.09.2021

Und plötzlich war es still

Als wir diesen Morgen erwachten war nichts mehr zu hören. Es war einfach still. Beim Blick nach oben war zudem kaum mehr Rauch zu sehen. War es an Tag 9 etwa “schon” vorbei? Wir wollten dem Frieden nicht trauen und mit neuen Beben in ca. 10 km Tiefe und der zurückgekehrten Rauchsäule wurden unsere Einschätzungen bestätigt. Lava floss wieder – großteils weiterhin über den bereits bestehenden Lavastrom – stark den Berg hinunter.  

Auf Beben in 10 km Tiefe folgt wieder starke Aktivität
Beben in 10 km Tiefe scheinen die Magma-Kammern wider zu befüllen. Die Lava fließt ein ganzes Stück auf die Montaña Todoque zu

AM FUSS DES HÜGELS ANGEKOMMEN

Im Laufe des Tages bewegte sich der Lavafluss nun wieder schneller voran und erreichte den Fuß der Montaña Todoque, dem Hügel zwischen Ortskern und Meer. Es sah ganz danach aus, als würde dieser nördlich umflossen werden, eine kleine natürliche Barriere bremste hier jedoch nochmal den Lavafluss und ließ die Anwohner weiter zittern. In dieser Zeit gab es vergleichsweise wenige Aktualisierunge der offiziellen Karten und auch kaum Drohnen-Material. Ein Umstand der die Anwohner immer unruhiger werden ließ. Und wieder ein Tag verstrich, an dem die Lava das letzte Wegstück bis zum Meer nicht zurücklegte. Die Beben, die sich weiter südlich und ziemlich mittig auf der Vulkanrute in einer Tiefe von 10-14 km zu sammeln begannen, wurden jedoch als Anhaltspunkt dafür gesehen, dass sich die Magmakammern weiterhin füllten.

28.09.2021 IGN Sismologia gemessene Beben
Quelle: IGN Sismologia Application, 28.09.2021, 19:10 Uhr
28.09.2021

Endlich am Meer

Heute ging es dann sehr schnell. Der Lavastrom begann den Todoque Hügel im Süden zu umfließen und schlug damit den Weg über den Camino El Pampillo ein – wiederum eine eng bebaute Region und wiederum traf es heute Freunde und Bekannte die seit 10 Tagen zitterten. Es kam zu einer weiteren Anhäufung von Beben in der Tiefe von 11-13 km am selben Ort wie am Tag zuvor, zentral gelegen auf der Cumbre, aber ein ganzes Stück weiter südlich von der Ausbruchs-Stelle.  

CONFINAMIENTO

Es wurde nun immer absehbarer, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis das Meer erreicht ist. Die chemischen Reaktionen beim Zusammentreffen von 1000° heißer Lava mit 23° warmen Salzwasser mit den daraus entstehenden Gasen wurden als möglicherweiße gefährlich eingestuft. Entsprechend wurden naheliegende Küstengebiete unter “Hausarrest” gesetzt und dazu aufgefordert Fenster und Türen geschlossen zu halten.  

DIE KÜSTENSTRASSE WIRD ÜBERROLLT

Am späten Nachmittag gelangte die Lava dann an die untere Küstenstraße und somit den letzten Verbindungspunkt zwischen Tazacorte und Puerto Naos. Da das Gelände hier immer steiler abfällt, rückte der Lavastrom schnell voran, die Bilder beängstigend und beeindruckend zugleich. In der Nacht erreichte er die Steilwand ein kleines Stück oberhalb vom Strand “Playa de los Guirres”. Endlich war ein Abfluss ins Meer geschaffen. Mit ihm für viele Menschen die Hoffnung, dass ihre Häuser an den Rändern des Lavastroms eine bessere Chance hatten, da der Fluss nun tendenziell nicht mehr so stark in die Breite gehen sollte.

RAUCHENTWICKLUNG?

Ja, es roch eine kurze Zeit komisch, die Wissenschaftler gaben jedoch schnell Entwarnung, dass für die avisierten Gebiete im Moment keine Gefahr bestand (was sicherlich u.A. dem Drehen des Windes zu verdanken war).

MEHR FOLGT IN KÜRZE